Seit Ende Oktober lädt ein besonderes Kreuz in einer neu gestalteten Ecke der Alten Nikolaikirche zum Beten und Innehalten ein: Es ist das Nagelkreuz von Coventry.

Nagelkreuz von Coventry

Denn am Freitag, dem 24. Oktober, ist die Paulsgemeinde der Nagelkreuzgemeinschaft von Coventry beigetreten und schließt sich damit einem weltweiten Netzwerk von kirchlichen Einrichtungen an, das sich für Frieden und Versöhnung einsetzt.

Ihren Ausgang nimmt die Nagelkreuzgemeinschaft im Jahr 1940: In der Nacht auf den 15. November bombardierte die deutsche Wehrmacht das mittelenglische Coventry. Weite Teile der historischen Altstadt – inklusive der gotischen Kathedrale St. Michael – fielen den Angriffen zum Opfer.
Unmittelbar nach der Zerstörung von Stadt und Kathedrale setzte das Domkapitel in Coventry auf Versöhnung statt Vergeltung. Aus drei ittelalterlichen Zimmermannsnägeln, die im Schutt der zerstörten Ruine lagen, wurde ein Kreuz geformt: das ursprüngliche Nagelkreuz von Coventry, ein Symbol der Hoffnung und des Glaubens in düsterer Zeit. Noch im selben Jahr übertrug die BBC den Weihnachtsgottesdienst aus den Ruinen der Kathedrale. Dompropst Howard ließ die Worte Father, forgive („Vater, vergib“) in die Ruinen des gotischen Chores meißeln. Sie stellen heute den Kern der Versöhnungslitanei von Coventry dar, eines Gebets, das Christinnen und Christen in der Nagelkreuzgemeinschaft und darüber
hinaus verbindet.

Versöhnungsgebet von Coventry

Den Hass, der Nation von Nation trennt,
Volk von Volk, Klasse von Klasse,
Vater, vergib.
Das Streben der Menschen und Völker zu besitzen,
was nicht ihr eigen ist,
Vater, vergib.
Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt
und die Erde verwüstet,
Vater, vergib.
Unseren Neid auf das Wohlergehen
und Glück der Anderen,
Vater, vergib.
Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen,
Heimatlosen und Flüchtlinge,
Vater, vergib.
Die Gier, die Frauen, Männer und Kinder entwürdigt
und an Leib und Seele missbraucht,
Vater, vergib.
Den Hochmut, der uns verleitet,
auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott,
Vater, vergib.

Die Ruinen der Kathedrale stehen noch heute im Stadtzentrum von Coventry. Unmittelbar daneben wurde 1962 die neue Kathedrale St. Michael errichtet. Heute bilden beide Kathedralen – die zerstörte und die neu errichtete – das Herz der Nagelkreuzgemeinschaft.
Die Nagelkreuzgemeinschaft – englisch Community of the Cross of Nails (CCN) – hat Mitglieder auf der ganzen Welt, mit besonders vielen aktiven Institutionen in Deutschland und Großbritannien. Weltweit zählt die Gemeinschaft heute rund 300 Nagelkreuzzentren, also Einrichtungen, die Mitglied im CCN sind und eine Kopie des Nagelkreuzes verliehen bekommen haben.

Oft wird dieses an prominenter Stelle ausgestellt: In der wiederaufgebauten Frauenkirche in Dresden steht es etwa auf dem Hauptaltar, in der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin in der Gedenkhalle, in St. Marien zu Lübeck neben den zerborstenen Glocken, die in der Brandnacht 1942 in die darunterliegende Kapelle gestürzt waren.

In Deutschland gibt es rund 80 Mitgliedseinrichtungen der Gemeinschaft. Wenn auch nicht in gleicher Anzahl, so finden sich heute auf jedem Kontinent Nagelkreuzzentren – von Norwegen bis Südafrika, von den USA bis Neuseeland, in Israel und Palästina, in der Ukraine und Russland.

Nagelkreuzecke in der Alten Nikolaikirche

Die Alte Nikolaikirche ist Anlaufstelle, Ruhepol und Versammlungsort für Menschen aus Frankfurt und der ganzen Welt. Durch ihr Mitwirken am Gedächtnis der Stadt identifiziert sich die St. Paulsgemeinde besonders mit den Zielen der Nagelkreuzgemeinschaft. So befinden sich mehrere Erinnerungsorte in unmittelbarer Nähe der Alten Nikolaikirche: das Mahnmal für die Bücherverbrennung im Mai 1933 auf dem Römerberg, die Gedenkplatte für die Zerstörung der Frankfurter Altstadt im März 1944 und etliche Stolpersteine – Orte, an denen die Gemeinde regelmäßig
Gedenkveranstaltungen abhält. Jährlich wird bei der Aktion „Beim Namen nennen“ in der Kirche an diejenigen Menschen erinnert, die auf der Flucht in die „Festung Europa“ ums Leben gekommen sind. Und nicht zuletzt die historische Verbindung zur Paulskirche verpflichtet, sich für Menschenrechte und Menschenwürde einzusetzen.

Diese Arbeit soll durch die Mitgliedschaft in der Nagelkreuzgemeinschaft sichtbarer werden und sich weiterentwickeln.
Als Standort für das Nagelkreuz hat der Kirchenvorstand einen bislang wenig beachteten Teil der Alten Nikolaikirche ausgewählt: die südwestliche Ecke des Kirchraums (vom Hauptportal aus betrachtet: hinten rechts). Ein Türrahmen aus Sandstein, der schon seit langem zugemauert ist, wird das Nagelkreuz rahmen. Eine Umgestaltung dieses Teils der Kirche mit neuem Sitz- und Lichtarrangement soll einen Ort zur Ruhe und Besinnung schaffen, der auch für kleine Andachten geeignet ist.
Nach der Stadtkirchengemeinde Darmstadt – die im kommenden Jahr ihre 50-jährige Mitgliedschaft feiert – ist die Paulsgemeinde die zweite Einrichtung in der EKHN in der Nagelkreuzgemeinschaft.
Zusammen mit der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde in Hanau gehören dann drei Gemeinden im Rhein-Main-Gebiet der Nagelkreuzgemeinschaft an.

Weitere Infos:
Website der Kathedrale von Coventry: www.coventrycathedral.org.uk
Website der deutschen Sektion der Nagelkreuzgemeinschaft: www.nagelkreuz.de